29 September, 2015

Ups, das bin ja ich: Was Selfies über uns erzählen


„Rund zwei Drittel (65 Prozent) der deutschen Smartphone-Nutzer ab 14 Jahren machen (...) sogenannte Selfies. (...) Und drei von fünf Selfie-Machern (59 Prozent) teilen ihre Selbstporträts
in sozialen Netzwerken.“ Die Bitcom-Studie »Die Zukunft der ConsumerElectronics 2014« versucht das Massenphänomen „Selfie“ in Zahlen zu erfassen. Aber erklärt das die Tsunami dieser ästhetisch fragwürdigen Portaitbilder im Netz?

Ich, Ich, Ich

Am 11. Januar 2000 beschloss der Fotograf Noah Kalina sich täglich selbst zu fotografieren. Immer in der gleichen Pose und mit dem gleichen, neutralen Gesichtsausdruck. Zwölfeinhalb Jahre lang produzierte er jeden Tag ein „Selfie“ und montierte diese zu einem Film: „Everyday“ zeigt die Wandlung eines jungen, glattrasierten 19-jährigen Teenagers zu einem reifen Mann im Alter von 32 mit Vollbart – in 4.545 Selbstportraits. Sicher, ein extremes Beispiel von „Selfie-Sucht“ – aber seien wir mal ehrlich: wir machen vielleicht nicht täglich ein Bild von uns, aber jeden zweiten …? Na? Gucken wir doch gleich mal auf dem Handy nach.

Seit Erfindung der Fotografie 1826 stand der Fotograf immer hinter der Kamera. Der Macher des Fotos war unsichtbar und blieb anonym. Auf Urlaubsfotos war derjenige, der die Fotos schoss, in der Regel nie zu sehen, als wäre er gar nicht dabei. Für eine gemeinsame Aufnahme musste man entweder einen Passanten um Hilfe bitten oder den Selbstauslöser bedienen und schnell ins Bild hechten.

Heute halten wir einfach unser Smartphone vor die Nase und drücken ab. Fertig. Das Bild ist meist schief und verzerrt. Macht nix, es geht ja um den Moment. Und müssen wir nicht mehr einen Fremden händeringend darum bitten, den richtigen Ausschnitt zu wählen und auf den Auslöser zu drücken und auch nicht bangen, dass er plötzlich mit dem Fotoapparat durchbrennt.

Heute sind wir, die Macher, selbst im Bild. Wir zücken den Selfie-Stick, diese unsägliche Verlängerungsstange, und glauben damit unseren Blick auf die Welt zu vergrößern. (Museen wie das Metropolitan Museum in New York verbieten mittlerweile die Anwendung dieser Stöcke, da sie die
Beschädigung ihrer Kunstwerke fürchten.)

Wir sind von der Tatsache fasziniert, dass wir uns immer und jederzeit selbst ablichten können. Das Selfie wird uns zum Spiegelersatz und es ist, als würden wir uns auf diesen Bildern besser erkennen als im richtigen Leben.

“Words are so Generation Y”

Katherine Rosman analysierte im Oktober 2014 in der New York Times den Hype um die Fotocommunity Instagram. Sie beschrieb darin eine neue Generation von Mediennutzern, die mit visueller Kommunikation im Netz groß geworden war und die Bilder heute schon in ihrer neuen Bedeutung ganz selbstverständlich nutzt: Generation Z. Ihr Zitat „Words are so Generation Y“ beschreibt den Zeitgeist und das Motto der nach 1995 Geborenen, einer Generation, deren Tagebücher „Tumblr“ und „Instagram“ heißen und die zur Beschreibung ihrer Gefühle, Erinnerungen und Gedanken kaum Worte verschwendet, sondern sich stattdessen lieber in Fotos ausdrückt.

Für diese Generation ist selbstverständlich, dass ein Bild mehr Aufmerksamkeit weckt als Text. Emotional mehr berührt und merkfähiger ist als Prosa. Den Betrachter mehr packt, gedanklich entführt
und in seinen Bann ziehen als Sätze es vermögen. Warum also groß nach Worten suchen, wenn ein Bild so schnell erzählt.

Bildern liegt eine ganz eigene Kraft inne, die wir bisher –vor allem in der Unternehmenskommunikation und im Marketing - noch nicht im Ansatz ausgeschöpft haben. Eine Kraft, die David Griffin, Leiter der Fotoredaktion des National Geographic, in seinem TEDTalk über Fotojournalismus wunderbar zum Ausdruck bringt: „It is these kinds of stories, ones that go beyond the immediate or just the superficial that demonstrate the power of photojournalism. I believe that photography can make a real connection to people, and can be employed as a positive agent for understanding the challenges and opportunities facing our world today.”

Wir Unternehmenskommunikatoren und Marketeers stehen also noch ganz am Anfang, diese Kraft der Bilder zu verstehen und als visuelles Storytelling kraftvoll einzusetzen. Es liegt spannendes Neuland vor uns … und jede Menge zum Gucken.


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