22 Mai, 2011

Kreativität ist keine Einzelsportart

Warum herrscht immer noch der Glaube, dass Kreativität von Einzelnen - Auserwählten - betrieben und beherrscht wird. Hier soll nochmals mit Nachdruck erklärt werden: Kreativität ist schon lange keine Einzelsportart mehr. Die Welt und ihre Probleme ist viel zu komplex, als dass neue Ideen und Impulse, oder gar Lösungen und Innovationen von nur einer Person im Geniestreich erdacht werden können.

Bereits im letzten Jahr hat IBM mit seiner jährlichen CEO-Studie die "zunehmende Komplexität der Welt" als eine der größten Herausforderungen moderner Unternehmen treffend identifiziert. Die über 1.500 befragten CEOs waren sich sehr einig in ihrer Beurteilung und Aussage, dass Wachstum und Profit zukünftig nur dem Unternehmen gelingen wird, das Lösungen und Wege findet, um Komplexität besser zu verstehen, sie zu meistern oder gar zu reduzieren. Als zukünftige Schlüsselqualifikation, um in einer immer komplexeren Welt zu bestehen, betonten die CEOs weltweit: "Creative Leadership". Erstmals rückt damit Kreativität - als kleine Schwester der Innovation -  ins Zentrum von Unternehmens- und Leadership-Strategien vor.

Dies erscheint vielleicht gar nicht so drastisch, ist aber doch ein echter Paradigmenwechsel. Also aufgemerkt!In den letzten drei Jahren, in denen IBM die Studie durchgeführte, war die Antwort auf folgende Frage immer gleich: "Was sehen Sie als größte Herausforderung für Ihr Unternehmen?". Die Antwort: Change - Wandel. Und die Lösung, wie man Wandel meistert ... man ahnt es schon: Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit. Und jetzt? 2010? Komplexität. Und die Lösung heißt: Kreativität.
Was ist hier anders? Sind das letztendlich nur ein bisschen andere Worte für den gleichen Sachverhalt? Mitnichten. Denn wer sein großes oder auch kleines Latinum auspackt, der weiß, dass Innovation von "novus" und "innovatio" kommt, was so viel wie "Erneuerung" und "neu Geschaffenes" heißt. Kreativität kommt von "creare" und "crescere", und das bedeutet "schöpfen" und "geschehen und wachsen".
Aber auch ohne Latinum spüren wir den Unterschied der beiden Worte. So ist doch "Innovation" wirklich was Großes, Bedeutendes, Neu-Erfundenes. Hier steckt die ganze Schwere deutscher Ingenieurskunst drin oder zumindest Edisons Erfindergeist und Lebenswerk mit über 2.000 Erfindungen. "Genius is one per cent inspiration and ninety-nine per cent perspiration.“ - war einer seiner Leitsprüche. Innovations-Workshops und Prozesse sind weit mehr als "Brainstormings". Sie erstrecken sich über mehrere Tage, Monate oder Jahre und bestechen durch Fleiß und Systematik.

Da kommt "Kreativität" schon viel leichter daher. Den sog. "Kreativen", ob in Unternehmen oder Agenturen, fehlt die Nähe zur Produktion und zum Planerischen. Sie liebäugeln mit Künstlern und Visionären. Böse Zungen behaupten sogar, sie seien "Spinner". Auf jeden Fall bewahren sie sich die Neugierde, Offenheit, Leichtigkeit und Unvoreingenommenheit, Neuland zu entdecken. Sie scheuen nicht, Probleme von ganz seltsamen Blickwinkeln zu betrachten und auch mal - aus Spaß am Unerwarteten - Regeln und Konventionen zu brechen. So reicht die "Kreativität" der "Innovation" den Steigbügel und verhilft ihr zu beschleunigtem Erkenntnisstand oder gar auch mal zum unerwarteten Durchbruch.

Die Unartigkeit des Regelverstoßes und die vermeintliche Unlogik vieler Kreativitätstechniken wirken sich jedoch leider nicht fördernd auf das Ansehen der "Kreativen" aus. Umso erfreulicher ist die plötzliche Anerkennung durch eine Umfrage unter 1.500 CEOs durch IBM, die "Kreativität" als DIE wichtigste Führungsqualitäten des neuen Jahrhunderts loben. Und ebenso erstaunlich wie weise ist die Erkenntnis, dass man der zunehmenden Komplexität der Welt nicht mit noch mehr Innovationen und noch mehr Systematik begegnet, sondern  mit der Leichtigkeit und Unkonventionalität der Kreativität. Das ist der eigentliche Paradigmenwechsel.

Der Ruf nach mehr Kreativität in den Führungsetagen kommt jedoch zu einem denkwürdig ungeeigneten Zeitpunkt. Nun, eigentlich ist der Zeitpunkt perfekt, denn diese komplizierte Welt, die kaum mehr einen Unterschied zwischen "Gut" oder "Böse", "weiß" oder "schwarz", "Freund" oder "Feind" macht, braucht flexible und disruptive Denke. Doch die Kreativität steckt in der Krise. In der Sinnkrise. Tobt doch ein erbitterter Kampf um die zeitgemäße Art und Weise der Ideenfindung.

Da sind zum Einen die Verfechter des sog. "Geniewesens", die im Kreativen eine starke Einzelpersönlichkeit sehen, die mittels ihrer Persönlichkeit, Erfahrung, Neugierde, Willenskraft und Eigenmotivation kreative Kraft aus sich heraus gebiert. Der Geniestreich, Heureka, der Wow-Gedanke, der plötzlich durch angestrengtes Nachdenken eines genialen Hirnes hervortritt. Werbeagenturen haben lange Jahre den "Kreativ- und Geniekult" bis auf die Spitze getrieben. Die sog. "Kreativen" waren eine elitäre Klasse unter den Mitarbeitern, etwas Besonderes, die Garanten für den Erfolg der Agentur und der ganz besondere Schatz, den es zu hüten galt und den selbst Kunden nur ganz selten zu sehen bekamen. Die "Kreativen" hatten Narrenfreiheit, sie durften sich ausleben und und ihr Ego austoben - Hauptsache, sie lieferten rechtzeitig.

Es gibt sie noch die Anhänger dieses Kultes. Und doch sehen wir das Ende dieser Zeit. Probleme und Aufgabenstellungen sind heute so komplex, global, vernetzt, interaktiv, schnelllebig, dass ein einzelner Kreativer dies gar nicht lösen kann. Soviel "Genialität"? Wer hat die schon allein. Daher wächst die Anhängerschaft eines neuen Kreativitäts-Verständnisses: "Kollektive Kreativität".
Zu sehen, live und in Farbe, heute schon im Internet. Open- und Crowdsourcing Plattformen machen es vor, und eigentlich arbeiten überall Teams und Gruppen - aufgefordert oder auch unaufgefordert - an Kreativprozessen zusammen. Und erarbeiten zusammen: Neues.
Dies ist auch die Herangehensweise moderner Agenturen. Kreativität kommt nicht von kleinen Eliten im Unternehmen, sondern von jedem. Und so ist auch jeder aufgefordert und in der Pflicht, sich beim Kreativprozess einzubringen. Neu ist dabei die Aufgabe sogenannter "Facilitator". Moderatoren und Coaches, die den Ideenfluss anregen und in die richtige Richtung kanalisieren. Ein neuer Beruf, der - zusammen mit dem Social Media Manager - in den kommenden Jahren verstärkt nachgefragt werden wird.

Kreativitäts-Coaches, die aus der Einzelsportart Kreativität nun im 21.Jahrhundert eine Teamsportart mit neuen Regeln machen.

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