15 Mai, 2012

Unsere Angst, dass uns keiner zuhört

Macht uns Technologie wirklich besser? Sherry Turkle gibt da ein kleines Warnsignal. Über 15 Jahre studierte die Psychologin die Veränderung des Kommunikationsverhaltens, vor allem die wachsende Nutzung von Textnachrichten. Und was sie in ihrem TED Talk aufdeckt, ist erschreckend. Während wir in Online-Communities immer aktiver sind, Texte und Bilder mit unseren „Freunden“ verstärkt teilen und uns kontinuierlich immer stärker „vernetzen“, werden wir gleichzeitig immer einsamer und unfähig, ein echtes Gespräch zu führen oder eine echte Beziehung aufrecht zu erhalten.
Überall sehen wir Kollegen, Freunde, Verwandte und Fremde auf der Straße in ihre Smartphones starren. Wir schreiben emails, texten SMSs, twittern  mit 140 Zeichen, teilen Bilder auf Pinterest und sammeln Freunde auf Facebook. Ehepaare tun dies am Frühstückstisch, Vorstände während Sitzungen, Schüler während des Unterrichts und sogar während Beerdigungen schaffen es manche nicht, sich von dem Strom der Worte zu lösen.
Wir sitzen nebeneinander und starren auf die Bildschirme. Doch wir sind zusammen ohne wirklich zusammen zu sein. Und genau das wird auf Dauer zu unserem Problem. Ein Problem für unsere Beziehung zu anderen und uns selbst.
Schon heute wächst die Zahl der „Ausgebrannten“, „Unsteten“ und „Unruhigen“. Derer, die kontinuierlich an einem Ort sind und doch an einem anderen sein wollen. Nichts verpassen, immer dabei sein. Online ist das möglich. Oder doch nicht?
Schon heute wächst die Zahl derer,  die sagen, dass sie lieber eine Email schreiben oder „texten“, statt anzurufen oder ein persönliches Gespräch zu führen. Wir isolieren uns mehr und mehr – mit der Ausrede „den anderen nicht stören zu wollen“. Man kann doch schnell eine Email schreiben. Tatsache ist jedoch, und da ist Sherry Turkle sehr deutlich, dass WIR nicht gestört werden wollen. WIR sind es, die sich die Freiheit nehmen, wann und wo auch immer über ein Thema zu schreiben und sich beim anderen zu melden. Und vor allem eine Beziehung aufzubauen, die nicht zu intensiv ist aber auch nicht zu locker … genau, wie es uns gerade in den Kram passt: Turkle nennt das Goldilocks-Effekt.
„So what´s wrong with a real conversation?” Studien von Turkle bringen eine grausame Wahrheit zu Tage:
-     Die Menschen sind es, die uns stören. Das Unberechenbare und Unvorhersehbare, das in einem Gespräch plötzlich auftreten kann. Per email passiert das weit schwieriger. Noch dazu erwarten wir auf die meisten Textbotschaften gar keine Antwort. Wir nutzen die Technik zum Monolog nicht Dialog.
-     Gespräche brauchen Zeit. Man kann nicht mit der Tür ins Haus fallen, sondern muss ein Gespräch aufbauen. Sich Zeit nehmen und Mühe aufwenden, ein gutes Gespräch zu führen. Twitter hat 140 Zeichen. Wie schön effizient.
-     Gespräche sind live. Eine Textbotschaft oder Email kann editiert werden. Wir können unsere Worte sehr gut wählen. Die Delete-Taste wird für SMS mindestens genauso oft benutzt, wie die Buchstaben. Im Gespräch müssen wir spontan antworten. Per Textbotschaft können wir alles so schön schreiben, wie wir gerne hätten, dass uns die Welt wahrnimmt.
Und über diesem Verlust an Gesprächen steht laut Turkle vor allem ein kurioses Paradigma. Nein, eine Angst:  „No one is listening to me“. Niemand hört mir mehr zu? Eine Teufelskreis. Daher twittern, SMSn, bloggen, facebooken und flickern wir umso mehr – und verschaffen uns eine Heerschar an „automatischen Zuhörern“. Dies befriedigt leider nicht so sehr, ist aber doch eine kleine Ersatzhandlung.
Fazit: Wieder öfter die Ursprungsbestimmung des Smartphones aktivieren und „zum Hörer greifen“ (welch seltsamer Ausdruck im Deutschen) oder noch besser: das Smartphone zur Seite legen und in ein unbequemes Gespräch gehen – und sich überraschen und bereichern lassen.

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